Die Tiger-Mom in mir
Ich dachte immer, ich wäre gegen zu viel Elternstolz gewappnet. Dabei ist er wirklich etwas ganz Besonderes!
Als der Kinderarzt mich ein wenig verschämt angähnte, ahnte ich, dass ich zu weit gegangen war. Andererseits: Er hatte ja schließlich danach gefragt, welche Wörter mein zweijähriger Sohn schon kennt! Und war ich noch gar nicht fertig mit der Aufzählung. Langweilig, moi?
Bevor ich Mutter wurde, stand ich elterlichem Stolz höchst skeptisch gegenüber. Die kleine Sophie hat eben ganz aufmerksam die weiße Wand angeguckt? Und Ben kann auch schon „wawa“ sagen? Herzlichen Glückwunsch. Ich war fest davon überzeugt, gegen die grassierende Baby/Kleinkind-Lob-Folklore immun zu sein.
Doch dann wurde ich Mutter und schob meinen Sohn vor mir her, als wäre er das erste Kind im ersten Kinderwagen der Welt. Ich war so verliebt und verzückt wie noch nie zuvor in meinem Leben. Hormonberauscht wie ein verknallter Teenager informierte ich Passanten, die mit mir an einer Ampel warten mussten, über das sanfte Wesen meines Sohnes. Ich musste mir eingestehen, dass meine guten Vorsätze, keine schwärmerische Jungs-Mutter zu werden, im Windeleimer gelandet waren. Wie konnte das passieren?
Die naheliegendste Antwort war natürlich, dass mein Sohn wirklich etwas ganz Besonderes war. Das hatte mir meine Nachbarin gestern noch in Treppenhaus bestätigt! Aber reichte diese Erklärung wirklich aus? Hatte dieser Elternstolz nicht viel mehr mit mir als mit meinem Sohn zu tun? Immerhin hatte ich ihn ja selbstgemacht, und jeder, der schon mal eine selbstgebackene Schokotorte aus dem Ofen geholt hat, weiß, was das für ein Gefühl ist.
Aber ich vermute, dass hinter diesem naiven Stolz noch viel mehr steckt. Das Loblied auf das eigene Kind ist ja auch eine geschickte Möglichkeit, seine eigenen Leistungen in den Vordergrund zu schieben. Schließlich hat mein Sohn ja fast alles, was ihn ausmacht – seinen Charakter, seine Erziehung, sein Aussehen, sein doppelreihiges Cos-Mäntelchen – von meinem Mann und mir bekommen. Eigentlich kein schlechter Trick, denn gerade unter Frauen hat Selbstzufriedenheit ein ziemlich schlechtes Image und verlangt nach einer subtileren Angabestrategie. Da bietet sich das eigene Kind natürlich an, besonders wenn es noch zu klein ist, um öffentlich zu widersprechen.
Man ist mit einem Kleinkind ja ohnehin zuspruchsbedürftig. Nachdem man selber so viel Schlaf, Zeit und Geld geopfert hat, ist man nur noch ein Abbild seiner früheren Glorie und hetzt zerzaust durch den Alltag. Da ist es natürlich entlastend, wenn man eine Rechtfertigung für seine schlechte Verfassung an der Hand hat: mein zauberhaftes it-Kind!
Aber ich glaube, der Strahlestolz vieler Eltern steht für noch mehr. Es ist die Hoffnung auf die Erfüllung der eigenen Lebensträume, die man in diesem Alter noch für sein Kind träumen darf, völlig naiv und unkorrigiert vom Leben. So wie damals in der Pubertät, als man dachte, die Welt stünde einem offen, nur weil man das Revier des Schulhofes noch nicht verlassen hatte.
Ob das jemals wieder aufhört? Hoffentlich. Der Kinderarzt sah jedenfalls ziemlich müde aus, als ich meinen Sohn nach der Untersuchung wieder anzog. „Er ist übrigens Linkshänder“, platze es aus mir heraus. Keine Reaktion. Ich verkniff mir gerade noch, hinzuzufügen: „Genau wie Barack Obama!“. Tiger Mom, übernehmen Sie!
– Erschienen in Nido 05/20111