Kamala und Co.: Das ist die Anti-Trump-Familie
Kreativität, rebellischer Geist und Eltern die, laut den Kindern, so verliebt sind, dass einem «schlecht wird». Willkommen im Clan von Vizepräsidentin Kamala Harris.
Als ein Journalist die damals zukünftige First Lady nach ihren Interessen befragte, war die legendäre Antwort von Melania Trump: «Frauenzeitschriften lesen und Pilates.» Politische Apathie und ein trainierter Beckenboden; die Zeiten, in denen die Partner des Washingtoner Spitzenpersonals um den eigenen Bauchnabel kreisen konnten, sind vorbei.
Mit Vizepräsidentin Kamala (sprich: Komma-la) Harris ist eine hochpolitische Second Family nach Washington gezogen, die neu definieren wird, was im amerikanischen Mainstream als normal und wünschenswert gilt. Denn traditionell geben First Ladys und ihre Kinder der Politik ihrer Ehemänner ein menschliches Gesicht, transportieren ihre Werte und fungieren als Gastgeberinnen der Nation.
Sie sind dazu in der Lage, sinkende Popularitätswerte der Regierung mit Charme, Mode und Gesten zu entschärfen: Jackie Kennedy zeigte, wie glamourös eine moderne Ehefrau sein konnte, Laura Bush spendete Trost und Mitgefühl nach den Terroranschlägen des 11. Septembers. Die Nation litt mit Hillary Clinton, die den Konflikt zwischen eigenen Karriereansprüchen und einem indiskrten Ehemann öffentlich aushalten musste. Michelle Obama zeigte, dass sie auch als Topjuristin weibliche Themen wie Mode, Wohltätigkeit und Mutterschaft mit politischer Bedeutung aufladen konnte.
Nur ist es diesmal die Second Family um Kamala Harris, die diese Aufmerksamkeit bekommt; vermutlich, weil schon die Ankunft von Kamala Harris im Weissen Haus eine Sensation für sich ist. Harris ist nicht nur die erste Frau, die zur zweitmächtigsten Person der USA ernannt wurde. Sie ist die erste schwarze Frau in dieser Position, und sie ist die Tochter einer indischen Immigrantin.
Von ihrer Mutter bewusst zum «stolzen schwarzen Mädchen» erzogen, gibt Kamala Harris weibliches Selbstbewusstsein heute auch an noch ganz junge Fans weiter.
San Francisco Chronicle/Hearst N / Hearst Newspapers
Kamala Harris repräsentiert eine ethnische Vielfalt, die der amerikanischen Gesellschaft, ihrer Geschichte und der Gegenwart gerecht wird. Und sie spiegelt den Werdegang vieler erfolgreicher Frauen: Die ehemalige Staatsanwältin und Senatorin hat erst in ihren späten Vierzigern geheiratet und selber keine Kinder. Sie lebt in einer Patchworkfamilie mit den inzwischen erwachsenen Stiefkindern Ella und Cole Emhoff, die aus der ersten Ehe von Douglas Emhoff stammen.
Douglas Emhoff – der «Second Dude» im Weissen Haus
Dazu passt ein Ehemann, der zwar bis vor kurzem vor allem ein New Yorker Topjurist war, sich aber in den sozialen Netzwerken in allererster Linie als Vater und Ehemann positioniert. Er wäre als Second Gentleman nicht nur der erste Mann, der die repräsentativen Aufgaben übernehmen wird, sondern auch der erste Anhänger jüdischen Glaubens, der qua Eheschliessung ins Weisse Haus gekommen ist (Harris selbst ist Christin).
Während Queengemahl Prinz Philip noch an seine Grenzen geriet, weil er stets einen Schritt hinter seiner Frau gehen musste, scheint diese Rollenverteilung für den 56-jährigen Douglas Emhoff kein Problem zu sein. Wenn einer den ramponierten Ruf des alten weissen Mannes wieder herstellen kann, dann er: «Ich bin dann wohl der Second Dude hier», scherzte er in einem TV-Interview, zweiter Typ statt First Lady.
Vizepräsidentin Kamala Harris mit Ehemann Douglas Emhoff und dessen Kindern aus erster Ehe Cole und Ella Emhoff.
Während man Hillary Clintons Unbehagen beim demonstrativen Keksbacktermin geradezu körperlich spüren konnte, es kein Geheimnis war, dass Michelle Obama zunächst wenig begeistert davon war, zugunsten der politischen Karriere ihres Mannes zurückzutreten, und Melania Trump ihren Umzug von New York nach Washington lange hinausgezögert hatte, scheint Emhoff eine Grundbegeisterung für seine Rolle als «Mann von» mitzubringen.
Im Interview erklärte er munter, dass er in der Küche erst von seiner Frau «angelernt» werden musste und ihm deshalb die Rolles des «Sous-Chefs» zugedacht sei. Er sei so aufgeregt gewesen, als er Kamala Harris um eine Verabredung bitten wollte, dass er seine erste Nachricht an sie in bester Teenagermanier zusammen mit einem Freund formulierte. Und die Frage, was er an seiner Frau so möge, beantwortete er wie aus der Pistole geschossen mit «sie».
Das muss wohl diese Liebe sein, von der immer alle reden, auch wenn seinen Kinder Cole und Ella Emhoff die häusliche Eintracht manchmal auf die Nerven geht: «Die beiden sind so verknallt, dass einem beim Zusehen ganz schlecht wird», erklärte Cole Emhoff in einem Interview. Und Ella Emhoff fügte hinzu: «Es ist fast schon eklig. Sie scheinen für immer in ihrer Honeymoonphase hängen geblieben zu sein.»
Beide Kinder haben ein enges Verhältnis zu ihrer Stiefmutter, deren beruflicher Ehrgeiz als Staatsanwältin und Senatorin zunächst uninteressant war. Cole Emhoff berichtet zwar davon, dass seine Freunde regelmässig von «Momala» und seinem Vater «grilliert» wurden («Man sollte schon einen Zehn-Jahres-Plan im Kopf haben, wenn man zu uns zum Essen kommt»), doch letztlich hält sich der 26-Jährige im Hintergrund. Über ihn ist lediglich bekannt, dass er für eine Künstleragentur arbeitet und mit seiner Freundin in Los Angeles lebt.
Ella Emhoff – die Stieftochter
Die 21-jährige Ella Emhoff hingegen ist eine ebenso grosse Sensation im Weissen Haus wie der First «Second Dude»: Sie ist eine dieser jungen Frauen, die sich nicht mehr die Haare frisieren, flache Schuhe tragen und sich auch sonst mehr oder weniger wie Männer kleiden. In ihrem Instagram-Account zeigt sie sich eigenwillig bis zur Schratigkeit: Weibliche Kulturtechniken wie Schminken, Haareföhnen und Achselnrasieren sind ihre Sache nicht. Dafür strickt die Textildesignstudentin alles, von dem man bisher gar nicht ahnte, dass man es auch stricken könnte: Bikinis, Sonnenhüte, Mützen mit Hundeohren, meist in den wildesten Farben.
Slow Fashion ist für Emhoff kein Marketig-Gag, sondern alternativlos: Wer seine Basketballhosen selbst strickt, der kriegt keine Kollektion zusammen, sondern ab und an einmal ein Einzelteil. Diese sind so begehrt, dass Ella Emhoff sie entweder auf Bestellung anfertigt oder verlost und die Erlöse dann Stiftungen spendet, die sich für die Rechte schwarzer Transmenschen einsetzen.
Ausserdem ist Ella Emhoff ein Fan von Stick-and-Poke-Tattoos, das heisst, sie (oder eine Freundin) sticht sich die Motive selber. Die sehen dann so aus, als wären sie im Gefängnis mit einem Kugelschreiber gemalt worden, was sie auch wohlweislich vor ihren Eltern verheimlicht und diese dann auch erst aus den Medien erfahren. («Zu Hause trägt sie dann etwas Langärmliges», erklärte ihr Bruder dazu.)
Ella Emhoff ist damit das Gegenteil von Ivanka Trump, die stets versuchte sich und ihre Familie als American Royalty im makellosen Ralph-Lauren-Schick zu inszenieren und nebenbei so viele Billig-Handtaschen wie möglich zu verkaufen. Doch während Ivanka Trump nun damit zu kämpfen hat, dass sich das amerikanische Establishment weitgehend von den Trumps abgrenzt, ist Emhoffs Stern gerade im Aufstieg.
Als sie bei Joe Bidens Amtseinführung einen bestickten Miumiu-Mantel mit Riesenkragen trug, wurde sie nicht nur von diversen Modezeitschriften zum neuen Vorbild ernannt, sondern auch gleich von der Modelagentur IMG Models unter Vertrag genommen – eine Agentur, die Superstars wie Alek Wek, Karlie Kloss oder Ashley Graham vertritt. IMG-Chef Ivan Bart erklärte auch gleich, warum: «Bei uns geht es nicht mehr um Grösse, Masse oder das Geschlecht. Wir suchen nach Authentizität. Ella repräsentiert den Zeitgeist, sie strahlt Lebensfreude und Witz aus, und sie weiss, wie man mit Mode kommuniziert.»
Für Emhoff ist die Zusammenarbeit mit IMG eine Überraschung: «Ich hatte, wie viele andere Mädchen und junge Frauen auch, Angst vor einer Welt, die sich so sehr auf Körper konzentriert», sagte sie. Doch die neuen, unterschiedlich aussehenden Models ermutigten sie, diesen Schritt zu gehen: «So kann ich als Künstlerin den Wandel von Schönheitsidealen mitgestalten – zusammen mit meinen komischen Tattoos und meinem seltsamen Haarschnitt.»
Meena Harris – die Nichte
Eine weitere Superfrau aus dem Harris-Clan ist Meena Harris, die Tochter von Kamalas Schwester Maya, ebenfalls eine erfolgreiche Anwältin. Die 36-Jährige wurde von ihrer Tante und ihrer Grossmutter mit aufgezogen, da ihr Mutter sie mit 17 Jahren zur Welt brachte: «Meinte Tante ist für mich wie eine zweite Mutter», erzählte sie in einem Interview.
Meena Harris studierte Jura in Stanford und Harvard, arbeitete eine Weile für Tech-Firmen wie Uber und Facebook und organsierte eine Jugendkampagne für Barack Obama. Doch dann begann sie 2016 T-Shirts mit dem Aufdruck «Phenomenal Woman», «Phenomenally Black» oder «Phenomenally Trans» zu verkaufen, eine Reverenz an die afroamerikanische Dichterin und Bürgerrechtlerin Maya Angelou: «I’m a Woman/ Phenomenally. /Phenomenal Woman, that’s me».
Diese wurden von Stars wie Serena Williams oder Schauspielerin Eva Longoria getragen, Naomi Campbell liess sich mit dem Schriftzug «Phanomenally Black» fotografieren. Politische Statement-Shirts passten genau in die Jahre, in denen in den USA plötzlich jede private Entscheidung wieder eine politische Dimension hatte – erst recht dann, wenn die Einkünfte in progressive Bürgerrechtsprojekte fliessen.
Weil der Erfolg so gross war, begann Harris sich hauptberuflich auf das Phenomenal-Woman-Projekt zu konzentrieren. Sie erweiterte ihre Kollektion, etwa mit einem Badeanzug mit dem Porträt der amerikanischen Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg oder einer Tasse mit dem Gesicht des Immunologen Dr. Fauci. Sie schrieb zwei Kinderbücher, eines über ihre Mutter und ihre Tante und eines namens «Ambitious Girl», in dem sie Ehrgeiz und Zielstrebigkeit als positive Attribute für schwarze Mädchen feiert.
Das wiederum passt zu ihrer ambitionierten Tante, die einst im Fernsehen erklärte, sie «esse das Wort Nein zum Frühstück»– wenn andere ihr sagten, Dinge würden nicht funktionieren, dann sei das für sie ein besonderer Ansporn, es trotzdem zu probieren. Doch bei allen Reverenzen an Kamala wehrt Meena Harris sich dagegen, dass ihre Modemarke mit dem Tanten-Ticket zum Erfolg wurde: «In meiner Familie sind sehr viele coole Leute, die sehr viele coole Sachen machen», erklärte sie. «Diese T-Shirts hier sind mein Ding.»
Shyamala Gopalan, die Mutter
Doch wenn es eine Frau gibt, der Harris ihren Platz in der Geschichte zu verdanken hat, dann ist es ihre Mutter, die mittlerweile verstorbene Shyamala Gopalan. «Eine Naturgewalt», wie Harris über sie schrieb, «sie ist meine grösste Inspiration.»
Mit 19 Jahren zog Gopalan von Neu-Delhi nach Berkeley, um dort Ernährungswissenschaften und Endokrinologie zu studieren und später sehr erfolgreich zum Thema Brustkrebs zu forschen. Für sie war politischer Aktivismus an der Tagesordnung: Im Umfeld der Bürgerrechtsbewegung lernte Shyamala Gopalan auch ihren Mann Donald Harris kennen, einen aus Jamaica stammenden Wirtschaftswissenschafter.
Doch die Ehe hielt nur drei Jahre, ein Sorgerechtsstreit um Kamala und ihre Schwester Maya entbrannte, aus dem Donald Harris als Verlierer herausging – und der heute unter «ferner liefen» im Leben seiner Tochter verbucht wird.
Ihre Mutter hingegen ist ihre Heldin: Die alleinerziehende Immigrantin brachte ihren Töchtern nicht nur ihre indischen Wurzeln nahe, sondern zog sie auch bewusst als «stolze schwarze Mädchen» auf. Sie vermittelte ihnen nicht nur ein überragendes Arbeitsethos, sondern lebte ihnen vor, dass man auch als Frau in Männerdomänen aufsteigen konnte, wenn man es sich nur zutraute.
Für Kamala Harris war dies die Botschaft ihres Lebens: Wenn eine Frau von kleiner Statur, mit dunkler Haut und einem starken Akzent, eine Frau, die oft übersehen oder nicht ernst genommen wurde, es geschafft hatte, dann würde auch sie es schaffen: «Meine Mutter fragte niemanden um Erlaubnis.»
Zugleich aber lehrte sie ihre Töchter, dass man Verantwortung für die Gesellschaft übernehmen muss: Schon im Kinderwagen wurden Kamala und Maya Harris auf Bürgerrechtsdemonstrationen geschoben. Vom Rumsitzen und Beschweren werde nichts besser, zitiert Harris ihre Mutter: «Sie sagte immer ‹Niemand kann alles tun, aber jeder kann etwas tun.›» Diese Botschaft hat Kamala Harris verinnerlicht – und ist jetzt in der Position, sehr viel mehr als nur einen kleinen Beitrag dazu leisten zu können, die Welt nach ihren Vorstellungen zu formen.